Jazz in der Küche oder was Kochen mit Musik zu tun hat

Mein neues Zuhause steht ja jetzt in Wolfshagen im Harz - und Wolfshagen im Harz ist der Geburtsort von Heinrich Engelhardt Steinweg.

Heinrich wer? Muss man den kennen?

Quelle: Wikipedia
Müssen muss man nicht, es kann aber nicht schaden, an dieser Stelle schnell mal eine kleine Bildungslücke zu schließen: Heinrich Engelhardt Steinweg ist der, den viele unter dem Namen Henry E. Steinway kennen. Ja genau, DER Steinway - der mit den Klavieren und Flügeln.

Und weil nicht jedes Dorf solch eine Berühmtheit für sich in Anspruch nehmen kann, wird der Herr Steinweg hier gebührend gewürdigt: Engagierte Bürger/innen gründeten den Wolfshäger Steinway e. V., der wiederum dank ausreichender Privatspenden einen echten Steinway-Flügel erwarb und selbigen fortan regelmäßig aus seinem klimatisierten Verlies holt und auf die Bühne der Wolfshäger Festhalle schiebt - und damit tolle Pianisten in das kleine Dorf lockt.

Warum erzähl ich das alles?

Weil Dr. Wolfgang Schömbs, der Pianist des Konzerts am vergangenen Freitagabend ("Jazz meets Classic"), mir bzw. uns - also dem Publikum - so wunderbar anschaulich erzählt und erspielt hat, was das Wesen der Improvisation ist. Ich fühlte mich - bitte nicht falsch verstehen, Dr. Schömbs, das meine ich jetzt aufrichtig als Kompliment - in meine Küche versetzt.

Mein musikalisches Improvisationstalent erschöpfte sich ja in dem unabsichtlichen - und meinen Geigenlehrer quälenden - Hervorbringen von Tönen, die ich nicht spielen sollte. Weil ich ja erst mal "richtige" Töne spielen lernen sollte. Was mir auf Dauer aber zu anstrengend war und und dazu führte, dass ich meine Geige rechtzeitig an den Nagel hängte.

Was mir aber auf Dauer nie zu anstrengend wird, ist das Musizieren, Interpretieren, Komponieren und Improvisieren in meiner Küche. Und genau diese Parallele kam mir bei den Ausführungen des "Dr. Jazz" in den Sinn.

In meinem Blogpost zum Thema Kreativität ("Kreativität entsteht aus Fülle und Hülle") hatte ich ja schon einmal beschrieben, unter welchen Voraussetzungen schöpferische Kreativität besonders gedeiht. Musik hatte ich dabei allerdings nicht im Sinn. Ein Fehler, wie ich nun weiß.

Nun aber zu den Erkenntnissen, die ich aus dem inspirierenden und großartigen Freitagabend in der Wolfshäger Festhalle mit in meine Küche nahm:

1. Keine Improvisation ohne Professionalität

Wer improvisieren will, muss zunächst mal um die Grundlagen wissen, Techniken beherrschen, die einzelnen Zutaten kennen, die Harmonielehre begreifen, den Aufbau einer Komposition (eines Rezepts) durchschauen und, und, und...

Ähem, auch gewissse Kenntnisse aus dem Reich von Physik und Chemie können in der Küche nicht schaden. Hätte ich neulich nicht einfach drauflosimprovisiert und daran gedacht, dass die Zugabe von Wasser (wenn auch als Sahne getarnt und in geringer Konzentration verwendet), dazu führen kann, dass sich von einer bereits wunderbar homogenen Masse die Kakaobutter feinsäuberlich vom Rest der Welt abgrenzt und beleidigt die Kooperation verweigert - dann, ja dann hätte ich meine sehr geschätzten Leser/innen mit einem neuen superleckeren Erdnuss-Schokoladen-Rezept beglücken können. Hätte.

Mit anderen Worten: Man muss erstmal richtig nachspielen/-kochen können, erstmal hinkriegen, was andere sich ausgedacht haben. Und man braucht Fülle - eine Fülle von Erfahrungen, ein reiches Spektrum an verschiedenen Techniken, eine Fülle von Zutaten, aus denen es sich schöpfen lässt. Und man braucht das Interesse an anderen Interpreten/Vorbildern/Köchinnen, um Anregungen für das eigene Tun gewinnen zu können.

Der Weg zur individuellen und kreativen Kochkunst führt also über die Kunst des Nachmachens. Erst wer das Nachmachen beherrscht, kann sich an die Kunst der Improvisation wagen.

2. Wer Improvisieren lernen will, setzt sich innerhalb der Fülle der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten freiwillig Grenzen.

Das ist die besagte Hülle, die ich als Gegenpart zur Fülle meine. Beschränken - das kann durch die Begrenzung auf eine bestimmte Anzahl von Hauptzutaten geschehen (Dr. Schömbs demonstrierte das am Beispiel einer aus 5 Noten bestehenden Tonfolge eines berühmten Klassikers* - welcher das war, habe ich jetzt grad nicht mehr präsent). Und mit dieser begrenzten Zahl kann man dann variantenreich herumspielen.

In der Küche heißt das z.B., eine begrenzte Anzahl von Hauptzutaten völlig unterschiedlich zu kombinieren/interpretieren: Heiß oder kalt, dezent oder kräftig, sparsam oder reich gewürzt, süß oder/und sauer, Vor-, Haupt- oder Nachspeise, gebraten, gekocht, gedünstet, gebacken, etc.... Als Beispiele aus meiner Küche fallen mir das "Menue Orange" (eine Hauptzutat, die sich in Vor-, Haupt und Nachspeise wiederfindet)  oder auch die "Variationen vom Geitost" ein.

Die Begrenzung könnte aber auch durch die Beschränkung auf eine bestimmte Farbe bei den Hauptzutaten, auf saisonal/regional verfügbare Zutaten, auf den vorgegebenen Inhalt des Kühl-/Küchenschranks oder auch durch gefühlte/gewollte/reale Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten entstehen. Beschränkung entsteht auch durch den Inhalt des "Instrumentenkastens" - wer bestimmte, im Rezept geforderte Geräte nicht besitzt, nimmt ein anderes und passt die Zubereitung entsprechend an. In der Musik wie in der Küche ändern sich dadurch z.B. Klangfarbe (Geschmack) oder Tonumfang (was nicht da ist, kann auch nicht eingesetzt und muss deshalb ersetzt werden).

Was für das musikalische Improvisationstraining die Veränderung der Stimmung ist, kann in die Küche übersetzt werden durch Experimente mit unterschiedlichen Ausrichtungen eines Rezepts: Man kann z.B. die gleichen Zutaten mal exotisch, mal bodenständig, mal als Kulturmix, mal fein, mal rustikal, mal scharf, sauer, süß, süß-sauer, schwer, leicht,... zubereiten.

Auch der Rhythmus lässt sich verändern...
... niemand zwingt uns, eine vorgegebene Menüfolge einzuhalten. Spielen lässt sich z.B. mit einem interessanten Auftakt (oder man startet gleich mit dem vollen ersten Takt), abwechseln können sich kurze und umfangreichere Gerichte oder wir entscheiden uns für einen relativ gleichmäßigen Rhythmus (von vielen kurzen oder wenigen umfangreichen Gerichten). Und die Pausen nicht vergessen! Was wäre die Musik ohne Pausen? Pausen strukturieren, laden zum Verweilen oder Auf-sich-wirken-lassen, lösen Spannnungen und/oder machen neugierig auf die Fortsetzung, sie verschaffen dem Musiker / der Köchin die notwendige Atempause für den nächsten Gang...

Was mich darüberhinaus besonders angesprochen hat in dem Konzert, waren die Bemerkungen des Pianisten zum Thema "Meditation". Meditation heißt nicht nur, sich im Schneidersitz in der Perfektion des Ommmh zu üben. Meditation bedeutet ja grundsätzlich, sich (in sich oder eine Tätigkeit) zu versenken und sich oder etwas anderes sinnend zu betrachten - das Wort stammt übrigens ab vom lateinischen "meditatio" = das Nachdenken. Und für mich gilt jedenfalls:

Kochen ist Meditation. 
Neues und Kreatives entsteht dann, wenn ich ungestört in mich und meinen Kochprozess eintauchen und versinken kann. Wenn ich ohne Rücksicht auf Publikum ausprobieren, kreieren, experimentieren und improvisieren kann. Wenn ich keinen Fehler fürchten muss, weil ihn ja niemand bemerkt (und die meisten "Fehler" in der Küche lassen sich mittels Improvisationstalent so hinbiegen, dass das spätere Publikum keinen Fehler bemerkt). Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Musikerin das Improvisieren erlernen kann, ohne sich zuvor in geschütztem Raum und ohne Publikum an der Materie zu versuchen. Das Gleiche gilt für mich: Wenn ich mir die für mich notwendige Meditationszeit in meiner Küche nehme und in Ruhe ausprobiere, was ich immer mal ausprobieren wollte (oder von dem ich noch gar nicht wusste, dass ich es ausprobieren wollte), dann traue ich mich auch, für und vor Publikum zu  meditieren improvisieren. Die ganz großen Experimente aber wage ich erstmal nur im Alleinsein mit mir und der Küche. Machen Sterneköche und -köchinnen das eigentlich anders? Ich glaube nicht.

Ach, mir fallen noch tausend weitere Parallelen zwischen Küche und Musik ein. Aber bevor mein Text hier Buchlänge annimmt, schließe ich diesen Beitrag jetzt abrupt mit einem alles umschließenden Digestiv samt musikalischer Begleitung:

Erlaubt ist alles.
Genießbar wird die Improvisation aber nur dann, wenn die Köchin weiß, was sie tut und wenn die Kreationen auf die Erwartungen und Bedürfnisse des Publikums eingehen.

Ein Genuss wird das Werk, wenn Erwartungen übertroffen, neue Bedürfnisse geweckt und der Horizont erweitert wird.

So wie Dr. Schömbs das mit seinem Konzert erreicht hat. Danke dafür!


George Gershwin, Rhapsody in Blue, gespielt von Dr. Wolfgang Schömbs

* [Nachtrag, 21.05.2013] Dr. Schömbs hat mir freundlicherweise auf die Sprünge geholfen und die Herkunft der 5 Töne erläutert (Danke!): "Die 5 Töne, das ist die Pentatonik, die es schon bei den alten Griechen gab. Du spielst nicht die 8 Töne unserer Tonleiter. Sondern "nur" 1, 2, 3 - 5, 6. Im C-Dur-Material also: C D E G A. Genauso dann in jeder anderen Tonart. Auch auf der Geige klingt das perfekt … wie beim Kochen." (Zitat)

Kommentare

  1. Liebe Antje, ich habe dein "Buch" mit großem Genuß gelesen! Und ich stimme dir auf ganzer Linie zu. Ich stelle allerdings fest, das ich, je mehr Grundtechniken ich lerne, noch ganz am Anfang stehe. Früher habe ich lustig drauf los experimentiert und die Ergebnisse waren meist, naja, breiten wir den Mantel des Schweigens darüber. ;-) So langsam erschließen sich endlich Verbindungen zwischen den einzelnen Wissensinseln und ich hoffe, dass ich irgendwann einmal in der Lage sein werde, wirklich frei zu "kochen". Bis dahin halte ich mich brav an die "Anleitungen" und lerne...

    Dir noch einen schönen Pfingstmontag mit hoffentlich ein wenig Sonne? Hier gibt's keine, auch gut, so kann ich mich ganz der Küche widmen...

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  2. Liebe Eva, danke für deinen Kommentar - freut mich sehr, dass du meine Gedanken nachvollziehen kannst :-)
    Das Gute am Kochen ist ja - und das ist vielleicht der Unterschied zur Musik -, dass ich nicht alle Grundtechniken, die in der gehobenen Küche vorkommen können, beherrschen muss, bevor ich mit dem Improvisieren beginnen kann. Wenn ich z.B. zu ungeduldig bin, mich in der Kunst der perfekten Macarons zu üben, dann lasse ich das eben ;-) Die Beherrschung dieser Technik fehlt mir aber auch überhaupt nicht, wenn ich z.B. Eiserkuchen-Körbchen mit Vanillecrème und Erdbeeren "erfinde" (mal sehn, ob ich es heute noch schaffe, das Rezept zu verbloggen).
    Jetzt gehe ich erstmal 'ne Runde in den Garten, nachdem ich heute schon wegen des guten Wetters einen ordentlichen Waldspaziergang genossen habe.
    Auch dir noch einen schönen restlichen Pfingstmontag - das ist für deine Blogleser/innen ja ein Grund zur Freude, wenn das Wetter dich gerne in der Küche werkeln lässt!

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  3. Sehr schöne Analogie! Von der Wolfshäger Festhalle direkt an den Herd ;-). Und Du hast mal Geige gespielt, das ist ja herrlich (ich beneide alle Menschen, die zumindest mal den Versuch gemacht haben, ein Instrument zu erlernen). Dass Herr Steinway alias Steinweg aus dem schönen Harz stammt, war mir tatsächlich nicht bekannt.

    Wie Du ja schon in der Antwort auf Eva schreibst - beim Kochen ist Gott sei Dank nicht ganz so viel Meisterschaft vonnöten, um bereits improvisieren zu können, auch auf der Ebene der Zutaten (da improvisiere ich sehr häufig). Gerade viele traditonelle Gerichte sind ja aus den Zutaten entstanden, die man eben gerade zur Verfügung hatte und nicht nach dem Prinzip "man nehme".

    Zum Thema Kochen und Musik fällt mir noch Rhythmus ein. Ich höre zwar keine Musik beim Kochen, denn ich habe kein Radio oder Anlage in der Küche, aber ich singe und summe vor mich hin, alles quer durcheinande, das mir in den Kopf kommt ;-). Das macht mich gerade dann locker, wenn ich eine spinnerte Idee habe. Und nachdem wir gerade unseren ersten kleinen Food-Film gemacht haben, stelle ich fest, dass bei Weitem nicht jede Musik zu jedem Gericht passt. Wir haben zwei Stunden nach dem richtigen Stück für Crumble gesucht, heiter-frühlingshaft sollte es sein, aber nicht zu kitschig, ein bisscen ironisch, ein bisschen dramatisch - eine Sisyphos-Arbeit. Soon on the blog ;-).
    Lieben Gruß!

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    1. Lieben Dank für deinen Kommentar - in dem ich mich auch wiederfinde ;-) Musikhören beim Kochen? Kann ich nicht. Ich sage nur: Meditation! Entweder versinke ich in Musik oder im Essenmachen - beides zusammen gelingt mir nicht.
      Und Musik zum Essen? Fände ich wiederum angemessen - aber... Genau wie du es beschreibst: Ich finde nie das Passende - jedenfalls nicht mit für mich vertretbarem Zeitaufwand. Und dann müsste ich ja auch noch den musikalischen Geschmack meiner Gäste treffen. Ich lass das also lieber.
      Irgendwo in der Blogosphäre ist mir mal ein Blog begegnet, auf dem beides vereint wurde: Sie kocht, er steuert den passenden Musiktitel zum Essen bei. Das Konzept gefiel mir sehr gut. Irgendwann tauchten in meinem Feedreader aber immer nur die Musikposts auf, das Essen fehlte. Da habe ich das Abo aufgegeben. Leider fällt mir grad beim besten Willen nicht mehr der Name des Blogs ein.
      Lieben Gruß und einen guten Start in die Kurzwoche :-)

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  4. Ich mag Musik. Welche Klingeltöne verwenden Sie? Ich habe die beste Qualität kostenlose Klingeltöne Musik Sammlung 2018. Einzigartiger Klingelton. Heiße Klingeltöne. Hier sind die zuletzt heruntergeladenen Songs:
    - Nevermind klingeltöne - ringtonemob
    - Rise klingeltöne - ringtonemob
    - Girls Like You klingeltöne - ringtonemob
    - In My Feelings klingeltöne - ringtonemob
    - Only Thing We Know klingeltöne - ringtonemob
    Du kannst auch auf meiner Homepage auf viele andere Musikrichtungen verweisen:https://ringtonemob.net/de/
    Ich hoffe du magst es. Hinterlasse einen Kommentar für meine Sammlung. Vielen Dank!

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