Die Lügen-Lüge

Klima-Lüge, Bio-Lüge, Öko-Lüge - die Lügen haben derzeit Hochkonjunktur in Medien und Buchhandel. Bio-Schmäh, Ökofimmel oder Märchenstunde kommen ein bisschen liebevoller daher - was aber nichts an dem impliziten Vorwurf ändert, wir seien allesamt eine Horde von Volltrotteln; Deppen, die sich in ihrem täglichen Leben nicht nur mit sich selbst beschäftigen sondern auch ein wenig an kommende Generationen, unsere Mitmenschen in anderen Ländern dieser Welt oder einfach an unser aller Lebensgrundlage denken. Die einzigen Nicht-Trottel mit vollem Durchblick sind selbstverständlich die Autor(inn)en der einschlägigen Literatur bzw. Zeitungsartikel oder Fernsehbeiträge.

Warum ich mich schon wieder aufrege, ist erstens eine Kolumne in der SpiegelOnline-Rubrik "Schwarzer Kanal" und zweitens ein Artikel in der aktuellen Druckausgabe des Magazins "Der Spiegel".
Die erstgenannte Kolumne trägt den Titel "Kirche des ökologischen Glaubens" und erklärt uns allesamt zu eben jenen Deppen, die Müll trennen, Wasser sparen oder Biosprit tanken. Das einzig Positive an diesem Artikel: Der Autor trennt selbst den Müll. So macht er sich für einen kleinen Moment zu unserem Komplizen. Danach allerdings redet er nicht mehr von sich sondern nur noch von der Allgemeinheit, den Anhängern der "Kirche des ökologischen Glaubens". Schlimmer noch: Er bezichtigt uns alle des Ökologismus' - also der Anhängerschaft einer reinen Ideologie, der wir alles andere unterordnen, der wir treu und ergeben folgen und über die wir das Nachdenken eingestellt haben.

Dafür hat er offenbar einen unsäglichen, sieben Jahre alten Artikel des "Cicero" ausgebuddelt. Dieser Artikel ist eine einzige Beschimpfung der Allgemeinheit ohne jede Sachlichkeit und ohne erkennbare journalistische Qualität - die ich jedenfalls erwarte, wenn ein "Artikel" nicht als Kommentar, Glosse, Satire, Kolumne o.ä. gekennzeichnet ist. Ich habe mir mal das zweifelhafte Vergnügen gegönnt und die beiden Wörter ökologismus religion gegoogelt. Der erste Treffer ist der dazugehörige Wikipedia-Eintrag - alles andere klingt dermaßen dubios, dass ich mich nicht getraut habe, auch nur einen der Links zu öffnen (selbst die Pius-Brüder stehen hier auf Seite 1).

Wird Ökologismus nun das neue Schimpfwort - als Ersatz für Argumente, die zu suchen man zu faul ist? So, wie auch Klima-Lüge, Bio-Lüge, Öko-Lüge inzwischen - so scheint mir - immer mehr zu einem rettenden Strohhalm werden für alle diejenigen, die mit ihrem schlechten Gewissen nicht mehr klarkommen. Wurde ja auch mal Zeit, dass sich jemand der armen Seelen annimmt, die sich zunehmend umzingelt fühlen von (weiblichen und männlichen) Weltverbesserern, Leisetretern, Pflanzenessern, Naturbewussten, AAA+-Kühlschrankkäufern und anderer fremder Kreaturen. Umzingelt und ohne schlagkräftige Argumente dagegen. Da klammert man sich dann schon mal an den Strohhalm "sowieso alles Lüge" und "ihr armen Trottel gebt dafür auch noch euer Geld aus".

Die Krönung der Kolumne im "Schwarzen Kanal" war die offene Werbung für das Buch "Ökofimmel" von Alexander Neubacher direkt im "redaktionellen" Text - neben dem Text prangt dann auch folgerichtig eine Anzeige, in der das gepriesene Buch zum Kauf im Spiegel-Shop angeboten wird. Sauber.

Heute nun sah ich in der gedruckten Spiegel-Ausgabe einen Artikel unter der Überschrift "Deutschland - ein Ökomärchen", geschrieben von - jahaa, von Alexander Neubacher (siehe oben "Ökofimmel"). Ergänzt wird der Artikel durch den Hinweis auf ein Video mit dem Titel "Alexander Neubacher über Ökolügen des Alltags". Zack, da ist sie wieder, die Lüge. Und im Film dürfen wir uns dann auch vor der "Ökofalle" hüten und die Werbung für sein Buch ansehen. Unabhängiger Journalismus. Sauber.

Nun aber zu der Frage, ob denn inhaltlich was dran ist am erhobenen Zeigefinger des Autors. Kurz gesagt: Ja, ist es. Und ich finde sogar, dass er wichtige Aspekte anspricht und uns zu Recht damit konfrontiert. Nur leider beleuchtet er immer nur die eine Seite. Aber das muss er ja auch. Schließlich will er sein Buch verkaufen.

Hier ein paar Beispiele von Neubachers "Wahrheiten":
Äpfel frisch vom Baum aus Neuseeland sind ökologisch sinnvoller als Bio-Äpfel aus der Region, die monatelang im Kühlhaus lagern.
Da ist was dran. Allerdings noch ein bisschen mehr als der Autor uns erzählen mag. Wenn man den Energieaufwand von der Ernte eines Apfel bis zu unserem Obsthändler betrachtet, dann stimmt das wahrscheinlich. Aber warum vergleicht er einen Bio-Apfel mit einem konventionellen Apfel? Will er Bio schlechtreden oder hat er übersehen, dass der Apfel vor der Ernte ja erstmal produziert werden muss? Und wenn wir dann alle ökologischen Faktoren zusammenrechnen (also Anbaumethoden, Flächennutzung, Artenvielfalt, Pestizideinsatz, Grundwasser, etc pp.), sieht die Sache mit Sicherheit anders aus. Also: Nicht der ökologische Fußabdruck des Apfeltransports ist entscheidend, sondern der Fußabdruck des gesamten Apfels.
Plastiktüten, die mehrmals benutzt werden, sind besser als Papiertüten, die nur einmal benutzt werden.
Wie bitte? Genau deshalb benutzen wir erstens gar keine Plastiktüten, sondern unsere Stofftaschen und zweitens - wenn es denn sein muss - Papiertüten mehrmals. Zum Beispiel als Geschenkverpackung. Oder als Katzenbett. Auf ein Geschenk, eingewickelt in eine Lidl-Tüte, verzichte ich dankend.
Wir verbrauchen zu wenig Wasser, weil die Kanalisation zu wenig durchspült wird und jetzt aufwändig vor Gestank und Fäulnis bewahrt werden muss.
Ja, davon hörte ich und es klingt erstmal plausibel. Aber wenn ich mich recht erinnere, dann wurde uns das Wassersparen nahegelegt, als z.B. in Hamburg das Wasser knapp zu werden drohte und die Lüneburger Heide deshalb zunehmend trockener fiel. Daraufhin wurden wir zum Einbau von Wasserzählern verpflichtet und das Wasser wird nun verbrauchsabhängig bezahlt. Und nun? Was ist falsch, wenn wir auch mit unseren finanziellen Ressourcen haushalten? Wenn wir wirklich zu wenig Wasser verbrauchen: Wie wärs, wenn wir zur Abwechslung mal eine Belohnung fürs Baden statt Duschen bekämen? Nein, sorry, blöde Idee: Ein höherer Warmwasserverbrauch bedeutet ja immer auch einen höheren Energieverbrauch. Abgesehen davon gilt Wasser als Lebensmittel und ich finde es richtig, damit nicht verschwenderisch umzugehen. Wir sind ja nun nicht zu einer Nation von Stinkstiefeln geworden.
Wärmedämmung an Wohnhäusern verschandelt die Fassaden und zwingt die Leute zum Lüften - andernfalls droht der Verfall des Hauses wegen Feuchtigkeit in den Wänden.
Mannomann. Erstens gibt es Fachleute, die das mit der Wärmedämmung richtig gut hinkriegen - die Fassade sieht hinterher genauso aus wie vorher und die Energieeinsparung ist enorm (ich weiß, wovon ich rede!). Und auch eine notwendige Luftzirkulation lässt sich professionell herstellen (abgesehen davon, dass ich Lüften echt nicht als Zumutung empfinde).
Energiesparlampen enthalten hochgiftiges Quecksilber, das später auf der Sondermülldeponie landet.
Ja, sie enthalten Quecksilber und das ist nicht lustig, wenn's in unserem Wohnzimmer verdampft. Glücklicherweise zerbrechen Energiesparlampen nicht so leicht wie die alte Glühbirne. Aber weil es ein Problem sein könnte, wird mit Hochdruck geforscht und entwickelt, wie der Quecksilber-Austritt im Schadensfall minimiert werden kann. Wieso der Autor das Quecksilber auf einer Mülldeponie wiederfindet, weiß ich nicht - ich lese mit Interesse, wie der Recyclingprozess funktioniert. Mal abgesehen davon, dass die positiven ökologischen Auswirkungen gegenüber der herkömmlichen Glühbirne um ein Vielfaches höher sind.

So, nun höre ich auf mit den Beispielen, sonst sitze ich die ganze Nacht an diesem Beitrag (ich kann mich da immer sowas von reinknien ;-) Wichtig zum Schluss ist mir mein Fazit:

Die Lügen-Bücher funktionieren alle nach dem gleichen Muster: Sie schenken den Klimawandel-, Bio-, Öko- und sonstigen Skeptikern jede Menge Beruhigungspillen, die die Gehirnwindungen lahmlegen und das Nachdenken verhindern. Dabei beleuchten die Autor(inn)en immer nur eine Seite mit grellen Scheinwerfern, während die andere Seite vollkommen im Dunkeln gelassen wird. Der provokative Titel (Lüge, Schmäh, Märchen) verkauft sich in der Regel gut: Die Denkfaulen greifen gierig danach, die Nachdenker/innen sehen sich zum Kauf gezwungen, um sich argumentativ zu wappnen (ich kaufe die aus Prinzip nicht!).

Und weil immer nur die eine Seite beleuchtet wird, ist die Lüge ein Märchen. 
Eine Lügen-Lüge eben.


Hinweis: Herr Neubacher hat schon wieder zugeschlagen und uns ein Kapitel seines Ökofimmels um die Ohren gehauen. Diesmal trifft es die LOHAS. Weil davon auszugehen ist, dass dieser Autor und auch andere keine Ruhe geben werden, habe ich eine Linkliste angelegt, in der ich aktuelle Links zu Artikeln, Beiträgen und Diskussionen sammele (unter anderem auch meine Reaktion auf die Lohas-Schelte).

Kommentare

  1. Spiegel & Co. suchen als Trittbrettfahrer Aufreger für eigenes Geschäftsmodell. Thematik in ihrer Vielschichtigkeit wird sogar von sog. "Journalisten" sehr oberflächlich missbraucht. Siehe auch: Wie konsumiere ich richtig? Bambule oder die Sendung mit der Maus? ZDF_neo http://lohas-scout.de/FOj6ex

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  2. Ich bin erst zu 2/3 durch mit der Lektüre von "Ökofimmel" (es soll im 3. Teil ja "besser" werden) und musste immer wieder unterbrechen, um mich wieder abzuregen. Ich ärgere mich über die oft einseitige, meistens enorm verkürzte Wiedergabe von Sachverhalten und am schlimmsten, die nachlässigen Schlussfolgerungen (nicht nur über die Papiertüten, die ich seit Jahren immer wieder benutze, zum Einkaufen oder, zwei ineinander gesteckt, um Bücher umzuziehen). Verallgemeinerungen, Behauptungen ohne direkte/überprüfbare Quellenangaben, kein Platz für differenzierte Betrachtungen oder (z.T. bereits bestehende) Lösungen für angeprangerte Zustände; da kommen sogar an Stammtischen intelligentere Diskussionen zustande als dieser Erguss, den ich als Glosse akzeptiert hätte, aber als Buch unerträglich wirkt. Und das alles von einem Journalisten.
    Reagiere ich über, weil ich Sozial- und Umweltwissenschaften studiert habe? Zumindest verhilft mir dieser Hintergrund zu erkennen, wo der Autor verfälscht (z.T. bis zur Täuschung), auswählt was passt und anderes ausblendet.
    Leider ist für mich nicht zu erkennen, welche Absicht wirklich hinter dem Buch steckt außer sich gut zu verkaufen (dafür ist je einfacher und launischer sicher desto besser). Aufklärung über Missstände, die sowieso bereits Allgemeinwissen sind? Dafür wäre mehr Sachlichkeit dienlicher gewesen.

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    1. Herzlichen Dank für den Kommentar!
      Im Moment beobachte ich den Trend, alle diejenigen zu diskreditieren, die verantwortungsbewusst mit den allgemeinen Ressourcen und dem persönlichen Konsumverhalten umgehen. Das Muster ist immer das Gleiche: Die Sache wird einseitig beleuchtet und dann als die "echte" Wahrheit verkauft. Und jede/r, der oder die keine Lust hat, kritisch über das eigene Konsumverhalten nachzudenken, fühlt sich bestätigt und im Recht.
      Und wenn ich mich mit solchen "Lügen-Entlarvern" unterhalte, dann bekomme ich statt echter Argumente gerne mal den Vorwurf um die Ohren gehauen, ich sei ideologisch oder würde die falschen Studien zitieren.
      Das nervt. Aber es kommt offensichtlich gut an und verkauft sich deshalb entsprechend gut (befürchte ich jedenfalls).
      Meiner Wahrnehmung nach verfolgen die Autoren solcher Schmähbücher zwei Absichten:
      1. Beruhigungspillen für alle! ("Mach dir keine Sorgen - die anderen sind die Spinner, nicht du! Du kannst also ruhig ewig so weitermachen...)
      2. Geld verdienen mit dem Verkauf des Buches (wobei dieses Ziel direkt aus dem ersten folgt).

      Auch wenn es mühsam ist: Ich habe beschlossen, mich einzumischen. Nicht, um die Autor(inn)en zu überzeugen, auch nicht, um die begierigen Leser/innen zu bekehren - sondern, um alle diejenigen zu unterstützen, die sich ständig im Freundes- und Verwandtenkreis mit "Argumenten" aus den besagten Büchern und Artikeln herumschlagen müssen.

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